Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 1999 Nr. 64 vom 2.12.1999 Seite 1257 bis 1270

Berücksichtigung der Lebensraumansprüche des Wildes bei der Bewirtschaftung des Waldes
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Berücksichtigung der Lebensraumansprüche des Wildes bei der Bewirtschaftung des Waldes

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Berücksichtigung der Lebensraumansprüche des Wildes
bei der Bewirtschaftung des Waldes

RdErl. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft

v. 18.10.1999 - III B 6 - 77-10-00.70 / III A 2 – 72-02-00.10

1
Nach § 1 Abs. 2 Bundesjagdgesetz (BJG) hat die Hege die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnisse angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zum Ziel. Die Hege muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.

2
Verbiss, Schälen, Schlagen und Fegen sind natürliche Lebensäußerungen
der wiederkäuenden Schalenwildarten. Sie sind damit natürliche Begleiterscheinungen der Waldentwicklung. Wildeinflüsse sind dann als Wildschäden anzusprechen, wenn durch Zuwachs-, Wert-, Diversitäts- oder Stabilitätsverluste das Produktions- oder Betriebsziel gefährdet wird.

3
Die Ursachen für Wildschäden sind nicht nur in überhöhten Schalenwildbeständen, sondern auch in Störungen zu suchen (z.B. Jagdbetrieb, Erholungsverkehr oder Forstbetrieb). Günstige Äsungs- und Deckungsverhältnisse tragen zur Entspannung des Problems bei. Hinweise zur Vermeidung von Störungen durch den Jagdbetrieb (Jagddruck) enthalten die von der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung herausgegebenen Hinweise zur Hege und Bejagung der einzelnen Schalenwildarten im Lande Nordrhein-Westfalen.

4
Wald und Wild stellen eine Einheit dar. Lokale oder regionale Wald/Wild-Konflikte müssen daher ganzheitlich betrachtet und behandelt werden. Dauerhafte Lösungen werden nur dann möglich sein, wenn neben der Reduktion überhöhter Schalenwildbestände auch eine Minderung der Störungen (z.B. Einführung störungsarmer, effektiver Jagdmethoden; Lenkung des Erholungsverkehrs), eine Verbesserung der natürlichen Äsungsverhältnisse und eine Zusammenführung von Äsung und Deckung erreicht wird.

5
Eine Verbesserung des Äsungs- und Deckungsangebotes im Walde kann durch eine naturnahe Waldwirtschaft, im Rahmen forstlicher Betriebsmaßnahmen und durch Anlage geeigneter Äsungsflächen erreicht werden.

5.1
Durch den Übergang zur naturnahen Waldwirtschaft kann die Verjüngungsfläche vergrößert werden. Der Wald soll möglichst über die ganze Fläche und in langen Zeiträumen verjüngt werden. Diese Art der Bewirtschaftung bringt differenzierte Lichtverhältnisse auf den Boden und regt das Wachstum der Baum-, Strauch- und Krautvegetation an. Der Verbiss konzentriert sich dann nicht mehr auf wenige Kulturflächen, sondern verteilt sich infolge des Nahrungsangebotes auf der ganzen Revierfläche.

5.2
Der Verbesserung des Nahrungsangebotes im Rahmen von forstlichen Betriebsmaßnahmen kommt besondere Bedeutung zu, da hier mit verhältnismäßig geringem Mittelaufwand - oft nur durch ein Unterlassen oder durch entsprechende Rücksichtnahme - die erwünschte Verbesserung erreicht werden kann. Die Aufzählung der nachfolgenden Maßnahmen ist nicht erschöpfend:

- Bei der Anlage von Kulturen sind weite Reihenabstände, Nesterpflanzungen o.ä. zu wählen, damit genügend Zwischenraum für Äsungspflanzen verbleibt und die Dickungsphase verkürzt wird. Randstreifen müssen ausreichend breit sein und dürfen nicht bepflanzt werden, damit sich prossholzreiche Waldränder entwickeln können. Hierdurch wird auch die Sicherheit der künftigen Waldbestände erhöht.

- Auf die Aufforstung kleiner Freiflächen (z. B. Schneedrucklöcher, Fehlstellen in der Verjüngung) in bevorzugten Wildeinständen ist zu verzichten, wenn die Voraussetzungen für die natürliche Entwicklung von Kräutern, Sträuchern und Pionierbaumarten gegeben sind.

- Die Zäunung ist auf das unumgänglich notwendige Maß zu beschränken. Großpflanzen und Wildlinge können im Einzelfall Zäune ersetzen. Zäunungen im Staatswald bedürfen der Genehmigung durch die höhere Forstbehörde. Entbehrliche Zäune sind unverzüglich abzubauen und unschädlich zu beseitigen.

- Bei einer erforderlichen Kultur- und Jungwuchspflege genügt es, wenn lediglich die zu begünstigenden Pflanzen freigestellt werden. Flächenschnitte entziehen dem Wild wertvolle Äsung.

- Sich selbst verjüngende Baumarten wie Birke, Eberesche, Aspe und Weidenarten sowie andere geeignete Baum- und Straucharten sind als Samenbäume, Verbissableiter, Treib- und Füllholz sowie als Vorwald auch zur ökologischen Vielfalt in angemessenem Umfang zu fördern und zu erhalten. Soweit verdämmende Pioniergehölze entnommen werden müssen, sollen sie im Herbst oder besser noch im Winter geschlagen werden.

- Jungbestandspflege in Laubholzbeständen, insbesondere in Eichenstangenhölzern, soll möglichst im Herbst oder Winter durchgeführt werden, da die Knospen und Triebspitzen hochwertige Äsung darstellen. Es hat sich bewährt, die Stämmchen nur anzuhauen und unter Belassung eines schmalen Kambiumstreifens umzudrücken. Dieses Läuterungsmaterial grünt noch Jahre lang und liefert dem Schalenwild Knospen- und Blattäsung in erreichbarer Höhe.

- Frühzeitige und kräftige Durchforstungen begünstigen die Entwicklung der Bodenflora und der Naturverjüngung.

- Holzeinschlag im Winter liefert durch das verbleibende Kronenreisig wertvolle Knospen-, Trieb- und Rindenäsung.

- Mast- und fruchttragende Einzelbäume sind, besonders in Revieren mit hohem Nadelholzanteil, zu fördern und zu erhalten. Auf geeigneten Standorten können Wildapfel und Wildbirne gepflanzt werden. Hierfür eignen sich insbesondere besonnte Waldaußen- und –innenränder sowie Randbereiche von Äsungsflächen.

- Durch extensive Pflege von Flächen, die nicht der Holzerzeugung dienen (z. B. Leitungsaufhiebe, Feuerschutzstreifen, Graswege, Wegeböschungen), kann zusätzliche Äsung bereitgestellt werden. Belange des Naturschutzes sind zu beachten.

5.3
Wildäsungsflächen dienen der Steigerung und Verbesserung des natürlichen Nahrungsangebotes. Sie können dem Wild hochwertige und artgerechte Äsung bieten. Sie tragen zur jagdlichen Aufschließung großer, zusammenhängender Waldkomplexe bei und schaffen günstige Beobachtungs- und Kontrollmöglichkeiten. Unter schwierigen jagdlichen Verhältnissen erleichtern sie auch die Erfüllung der notwendigen Abschüsse. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei ständiger Beunruhigung durch die Jagdausübung der Wert solcher Äsungsflächen erheblich gemindert wird, da das Wild sie dann meidet. Es ist deshalb notwendig, nach kurzen Zeiten intensiver Bejagung örtlich längere Jagdpausen einzulegen. In reinen Waldrevieren mit Hochwild sollten 1 bis 2 % der Fläche als Äsungsflächen gestaltet werden. Viele kleine, über das Revier verteilte Äsungsflächen (ca. 0,3 ha) sind wenigen größeren vorzuziehen.

Die Anlage von Wildäsungsflächen darf nur auf der Grundlage der mittelfristigen Betriebsplanung erfolgen. Die Pflege dieser Flächen ist unter Beachtung der Belange des Naturschutzes extensiv durchzuführen.

Zur Förderung der Artenvielfalt und zur Erhaltung der Äsungsqualität müssen Wald- und Talwiesen jährlich gemäht werden.

Hinweise zur Anlage von Äsungsflächen gibt der von der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung herausgegebene Umdruck "Verhütung von Wildschäden im Walde".

6
Vorstehende Grundsätze sind bei der Bewirtschaftung des Staatswaldes zu beachten.

Im Privat- und Körperschaftswald wirken die Forstbehörden auf die Berücksichtigung der o.a. Grundsätze hin.

MBl. NRW. 1999 S. 1265