Ministerialblatt (MBl. NRW.)
Ausgabe 2000 Nr. 43 vom 26.7.2000 Seite 761 bis 772

Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Erwachsenen
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Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Erwachsenen

I.

20510

Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs
bei Erwachsenen

Gem. RdErl. d. Justizministeriums - 4450 - III A. 10 -
u. d. Innenministeriums - IV D 2 - 2902 -
v. 1.6.2000

Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I S. 3186 ff.) hat der Gesetzgeber dem Täter-Opfer-Ausgleich und der Schadenswiedergutmachung im Erwachsenenstrafrecht stärkeres Gewicht eingeräumt. Mit dem Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2491 ff.) wurden datenschutzrechtliche Regelungen getroffen und das Rechtsinstitut des Täter-Opfer-Ausgleichs in den Katalog des § 153 a StPO eingefügt.

Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) soll dem Rechtsfrieden, der durch eine Straftat gestört ist, dienen. Für das Opfer soll
- auf Initiative des Täters oder durch Vermittlung eines Dritten - auf außergerichtlichem Wege eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung zur Beseitigung oder wenigstens Milderung der mit der Straftat verbundenen Folgen gefunden werden. Dem Opfer können überdies ein Zivilrechtsstreit und eine Vernehmung als Zeuge erspart werden. Dem Täter sollen die Folgen seiner Tat für das Opfer - auch aus spezialpräventiven Gründen - verdeutlicht werden. Die Ausgleichsleistungen des Täters können finanzieller oder kompensatorischer Art sein.

Der TOA kann eine Alternative zur Verhängung oder Vollstreckung gesetzlicher Sanktionen sein. Durch seine Einbindung in das bestehende Strafrechtssystem dient er den Interessen der Rechtsgemeinschaft.

1
Rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlagen für die Berücksichtigung des Täter-Opfer-Ausgleichs sind bei Erwachsenen § 46 Abs. 2 Satz 2,

§ 46 a, § 56 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 153 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5, Abs. 2 Satz 1, § 153 b, § 155 a, § 155 b, § 376 StPO; vgl. ferner §§ 27 ff., 30 GnO NW.

2
Anwendungsbereich

2.1
Ein Täter-Opfer-Ausgleich kommt bei immateriellen und materiellen Schäden in Betracht, und zwar auch in Fällen, in denen es beim Versuch verblieben ist. Beim Opfer muss in der Regel ein noch regelungsbedürftiger Schaden vorliegen. Soweit ein materieller Schadensersatz angezeigt ist, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschuldigten angemessen zu berücksichtigen.

2.2
Für einen Täter-Opfer-Ausgleich bei erwachsenen Beschuldigten kommen je nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere folgende Vergehen in Betracht, wobei die Aufzählung lediglich eine Orientierungshilfe bieten soll:

- Hausfriedensbruch (§ 123 StGB),

- Beleidigung (§ 185 StGB),

- Körperverletzung (§§ 223 f., 229 StGB),

- Nötigung (§ 240 StGB),

- Diebstahl (§§ 242 f. StGB),

- Unterschlagung (§ 246 StGB),

- Betrug (§ 263 StGB),

- Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248 b StGB),

- Sachbeschädigung (§ 303 StGB).

2.3
Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich darf nicht zu einer Einschränkung der Unschuldsvermutung und von Verteidigungsrechten der Beschuldigten führen; es setzt daher voraus, dass die oder der Beschuldigte bereit ist, die Verantwortung für die Tat zu übernehmen.

2.4
Die Staatsanwaltschaft prüft vorrangig, ob das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach § 153 StPO einzustellen ist.

2.5
Ein Täter-Opfer-Ausgleich ist nur in Betracht zu ziehen, soweit Verletzte nicht auf den Privatklageweg zu verweisen sind. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich wird von der Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung nach § 376 StPO mit berücksichtigt und ist geeignet, das öffentliche Interesse an der Erhebung der öffentlichen Klage entfallen zu lassen.

2.6
Voraussetzung für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist, dass Beschuldigte und Opfer zu einem Ausgleich auf freiwilliger Basis bereit sind. Bei minderjährigen Opfern ist auch die Zustimmung der Personensorgeberechtigten erforderlich.

2.7
Vorstrafen oder ein bereits in früheren Verfahren versuchter Ausgleich schließen einen erneuten Ausgleich nicht von vornherein aus.

3
Ausgleichsstellen

3.1
Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich obliegt bei Erwachsenen in erster Linie den Beschuldigten selbst. Um den Kontakt zwischen Täter und Opfer herzustellen und den Ausgleich vorzubereiten, können sich die Beteiligten an eine Ausgleichsstelle wenden.

3.2
Als Ausgleichsstelle für Erwachsene können je nach den Umständen namentlich in Betracht kommen

a) die Gerichtshilfe,

b) die Bewährungshilfe bei unter Bewährungsaufsicht stehenden Beschuldigten,

c) der Soziale Dienst des Strafvollzuges bei Inhaftierten,

d) Schiedspersonen nach dem Schiedsamtsgesetz (SchAG NW) vom 16.12.1992 sowie

e) Einrichtungen von Trägern der freien Wohlfahrtspflege, die sich zur Wahrnehmung der Aufgaben einer entsprechenden Ausgleichsstelle bereit erklärt haben.

3.3
Für einen Täter-Opfer-Ausgleich ist in allen geeigneten Fällen die persönliche Begegnung zwischen Täter und Opfer anzustreben. Neben dem immateriellen Ausgleich (Reue, Verständnis, Versöhnung) soll eine - wenn möglich abschließende - materielle Wiedergutmachung erreicht werden. Dabei sind Ratenzahlungen und - bei fehlenden Mitteln - auch Arbeitsleistungen in Betracht zu ziehen.

4
Verfahren

4.1
Zu Beginn der Ermittlungen klärt die Polizei, ob zwischen den Beteiligten ein Ausgleich bereits stattgefunden hat oder angebahnt ist. Das Ergebnis ist aktenkundig zu machen. Gewinnt die Polizei den Eindruck, dass sich ein Täter-Opfer-Ausgleich anbietet, so regt sie diesen gegenüber der Staatsanwaltschaft an. Die Polizei händigt den Beteiligten ein Merkblatt zum Täter-Opfer-Ausgleich aus. (Muster siehe Anlage)

4.2
Die Entscheidung, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich versucht werden soll, trifft die Staatsanwaltschaft in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens. Dabei sollen Anregungen der Polizei oder anderer Stellen berücksichtigt werden. Zur Vorbereitung ihrer Entscheidung kann sich die Staatsanwaltschaft der Gerichtshilfe bedienen.

4.3
Hält die Staatsanwaltschaft die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs für angezeigt, so wendet sie sich an eine der in Nummer 3.3 genannten Ausgleichsstellen. Sind von der oder dem Beschuldigten bestimmte (Mindest-)Leistungen zur Wiedergutmachung zu erbringen, vermerkt die Staatsanwaltschaft dies in der Zuschrift an die Ausgleichsstelle.

4.4
Zur Einleitung des Täter-Opfer-Ausgleichs übermittelt die Staatsanwaltschaft der Ausgleichsstelle Namen und Anschrift der oder des Beschuldigten und des Opfers sowie erforderliche Angaben zum Sachverhalt.

4.5
Werden Beteiligte von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin vertreten, so sind diese rechtzeitig über den beabsichtigten Ausgleich zu unterrichten. Dies kann auch durch die Ausgleichsstelle geschehen.

4.6
Die Ausgleichsstelle nimmt unverzüglich Kontakt zu den Beteiligten auf und klärt deren Bereitschaft zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs. Hierüber übersendet sie kurzfristig einen Bericht mit einem - auch vorläufigen - Ausgleichsvorschlag an die Staatsanwaltschaft.

4.7
Nach Vorliegen des Ausgleichsvorschlags entscheidet die Staatsanwaltschaft über die vorläufige Einstellung des Verfahrens (§ 153 a StPO). Ist im Hinblick auf die beabsichtigte Verfahrenseinstellung die gerichtliche Zustimmung erforderlich, holt die Staatsanwaltschaft sie ein. § 153 b StPO bleibt unberührt.

4.8
Nach der vorläufigen Einstellung durch die Staatsanwaltschaft beauftragt diese die Ausgleichsstelle mit dem
Täter-Opfer-Ausgleich und setzt ihr eine angemessene Frist.

4.9
Nach Abschluss ihrer Tätigkeit berichtet die Ausgleichsstelle der Staatsanwaltschaft schriftlich über die Ausgleichsbemühungen und deren Ergebnis, insbesondere über den Umfang der Ausgleichsleistung.

4.10
Ist der Täter-Opfer-Ausgleich zustande gekommen, hat die oder der Beschuldigte die Ausgleichsleistung erbracht und sind weitergehende Maßnahmen nicht angezeigt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren endgültig ein.

Als Erfolg kann auch das nachweislich ernsthafte Bestreben um die Wiedergutmachung der Tat gewertet werden.

4.11
Kommt eine Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht, weil nach Auffassung der Staatsanwaltschaft weitergehende Maßnahmen angezeigt sind oder der Täter-Opfer-Ausgleich scheitert, nimmt die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf und sorgt für dessen zügigen Fortgang. Dabei berücksichtigt die Staatsanwaltschaft im weiteren Verfahren jedes ernsthaft auf Wiedergutmachung und Schadensausgleich gerichtete Verhalten nach der Tat entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 46 Abs. 2 Satz 2, 46 a StGB zugunsten der oder des Beschuldigten.

5
Zusammenarbeit

Alle Stellen und Einrichtungen, die Aufgaben des Täter-Opfer-Ausgleichs wahrnehmen, bemühen sich um eine enge und kooperative Zusammenarbeit, damit der Täter-Opfer-Ausgleich zügig und in angemessener Zeit durchgeführt werden kann.

6
Gnadenbehörden und Gerichte

Die vorstehenden Regelungen gelten sinngemäß für die Gnadenbehörden. Gerichte können sie anwenden.

7
Sonstiges

Dieser Gemeinsame Runderlass tritt mit Wirkung vom 1.6.2000 an die Stelle des Gem. Rderl. d. Justizministeriums - 4450 III A. 10 - u. d. Innenministeriums - IV D 2 - 2902 vom 22.1.1998.

Anlage

Merkblatt für den Täter-Opfer-Ausgleich
(M U S T E R)

Was ist ein Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)?

Im TOA wird versucht - auf freiwilliger Basis und nach vorbereitenden Einzelgesprächen - Schädiger und Geschädigte im Beisein einer Vermittlerin oder eines Vermittlers an einen Tisch zu bringen. Ziel ist es, die durch eine Straftat entstandenen Konflikte zu bewältigen und auf außergerichtlichem Wege die bei dem Opfer entstandenen materiellen und psychischen Beeinträchtigungen zu mildern.

Was kann im TOA für Sie erreicht werden?

Als Schädiger/in haben Sie die Möglichkeit, Verantwortung für Ihr Handeln zu übernehmen und deutlich zu machen, dass Sie eine Wiedergutmachung wollen. Ihr Verhalten nach der Tat berücksichtigen Staatsanwaltschaft und Strafgericht bei der Frage, ob Sie überhaupt bestraft werden müssen oder aber eine mildere Strafe zu verhängen ist (§ 46 Abs. 2 StGB). Als Geschädigte oder Geschädigter können Sie im Rahmen eines persönlichen Gesprächs dem Täter oder der Täterin die Folgen seines/ihres Verhaltens - verletzte Gefühle, Ärger, Ängste und entstandene Schäden - vor Augen führen. Häufig lässt sich eine einvernehmliche Regelung erreichen, die eine weitere kostenaufwendige Schadensersatzklage entbehrlich macht.

Welche Möglichkeiten der Schadenswiedergutmachung gibt es?

Für einen TOA ist in allen geeigneten Fällen die persönliche Begegnung zwischen Täter und Opfer anzustreben. Neben dem immateriellen Ausgleich (Reue, Verständnis, Versöhnung) soll eine - wenn möglich abschließende - materielle Wiedergutmachung (Schadensbeseitigung, Schadensersatz) erreicht werden. Dabei sind Ratenzahlungen und als Ausgleich für fehlende Mittel auch Arbeitsleistungen in Betracht zu ziehen.

Wo können Sie weitere Informationen bekommen?

Als Vermittler zwischen Täter und Opfer können tätig werden:

- die sozialen Dienste der Justiz: Gerichtshilfe, Bewährungshilfe sowie der Soziale Dienst des Strafvollzugs

- Schiedspersonen nach dem Schiedsamtsgesetz NW

- Einrichtungen von Trägern der freien Wohlfahrtspflege, die sich zur Wahrnehmung der Aufgaben einer Ausgleichsstelle für Erwachsene bereit erklärt haben.

- Nützliche Anschriften und Rufnummern finden Sie umseitig!

MBl. NRW 2000 S. 762