Geltende Erlasse (SMBl. NRW.) mit Stand vom 18.4.2025
Vorläufige Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. l des Betäubungsmittelgesetzes Gem. RdErl. des Justizministeriums- 4630 - III A. 7 "IMA" - u. d. Innenministeriums - IV D l - 6507.1 vom 13. 5. 1994
Vorläufige Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. l des Betäubungsmittelgesetzes Gem. RdErl. des Justizministeriums- 4630 - III A. 7 "IMA" - u. d. Innenministeriums - IV D l - 6507.1 vom 13. 5. 1994
Vorläufige
Richtlinien zur Anwendung des
§ 31 a Abs. l des Betäubungsmittelgesetzes
Gem. RdErl. des Justizministeriums- 4630 - III A. 7 "IMA" -
u. d. Innenministeriums - IV D l - 6507.1
vom 13. 5. 1994
I.
Vorbemerkung
Nach § 31 a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) kann die
Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung eines
Vergehens nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG absehen, wenn
- die Schuld des Täters als gering
anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse
- an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich
- zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt,
ausführt,
- durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.
Nach der Gesetzesbegründung soll die Vorschrift dem Ziel der "Entlastung
der Strafverfolgungsbehörden von der Verfolgung suchtbedingter
Kleinkriminalität zur Konzentration der Ermittlungsressourcen gegen den
professionellen Betäubungsmittelhandel" durch "Schaffung
weitreichender Einstellungsmöglichkeiten für die Staatsanwaltschaft in
'Konsumentenverfahren'" dienen. Deshalb hat es der Gesetzgeber "zur
Vermeidung nicht zwingend gebotenen Verfahrensaufwandes sowie zur
Gewährleistung einer flexiblen und einheitliche Verfolgungsgrundsätze
berücksichtigenden Verfolgungspraxis" als vertretbar angesehen, "in
den Fällen des § 31 a Abs. 1 auf die Zustimmung des Gerichts zur
Einstellungsentscheidung zu verzichten". Er ist dabei davon ausgegangen,
bei den zu treffenden Entscheidungen werde es sich "im wesentlichen um
gleichgelagerte Fälle handeln, deren sachgerechte Beurteilung durch die
Staatsanwaltschaft gewährleistet erscheint."
Dem Ziel einer möglichst einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der
Vorschrift kann die Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte dienen:
II.
1.
§ 31 a BtMG läßt ein Absehen von der Verfolgung nur zu, wenn die Tat sich auf
eine geringe Menge bezieht, die zum Eigenverbrauch bestimmt ist.
Danach erscheint die Anwendung der Vorschrift in der Regel dann nicht mehr
vertretbar, wenn die Tat eine größere als die nachfolgend aufgeführte Menge des
jeweiligen Betäubungsmittels betrifft,
1. Haschisch (ohne Haschischöl) und Marihuana: 10
Gramm
2. Heroin: 0,5
Gramm
3. Kokain: 0,5
Gramm
4. Amphetamin: 0,5
Gramm
Da diese Angaben von durchschnittlichen Reinheitsgehalten (bei Haschisch und
Marihuana: 6 Gewichtsprozent Tetrahydrocannabinol; bei Heroin: 10
Gewichtsprozent Heroin-Hydrochlorid; bei Kokain: 30 Gewichtsprozent
Kokain-Hydrochlorid; bei Amphetamin: 25 Gewichtsprozent) bezogen auf im Handel
vertriebene Kleinmengen ausgehen, können sie nur Anhaltspunkte für die
Feststellung einer noch als gering anzusehenden Menge darstellen.
Liegen daher Anhaltspunkte für eine von den zuvor aufgeführten Reinheitsgehalten
abweichende Zusammensetzung vor, kann eine höhere oder niedrigere Menge des
vorgefundenen Gemischs die Grenze bilden.
Bei anderen unerlaubten Betäubungsmitteln kann eine geringe Menge in der Regel
dann nicht mehr angenommen werden, wenn sie mehr als 3 Konsumeinheiten
ausmacht.
Für eine Anwendung der Vorschrift ist - auch bei Auffinden von geringeren als
den vorstehend aufgeführten Mengen - kein Raum, wenn zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte für ein Handeltreiben mit oder die Abgabe von Betäubungsmitteln
vorliegen; hierfür kann das wiederholte Antreffen mit unerlaubten
Betäubungsmitteln ein Anhaltspunkt sein.
2.
Das Betäubungsmittelstrafrecht schützt in erster Linie die öffentliche
Gesundheit; die Strafverfolgung im Konsumentenbereich ist aber ebenso sehr von
dem drogenpolitischen Prinzip "Hilfe vor Strafe" geprägt.
Bei nicht betäubungsmittelabhängigen Tätern kann eine geringe Schuld in der Regel bei Erst- (und Zweit-) Tätern
angenommen werden, während bei wiederholtem Antreffen mit unerlaubten
Betäubungsmitteln eine Einstellung nach § 31 a BtMG nur im Einzelfall - etwa
bei Vorliegen eines größeren Tatzwischenraumes - in Betracht kommt.
Die Anwendung des § 31 a BtMG unter dem Gesichtspunkt der geringen Schuld kommt
auch in Betracht, wenn der Täter betäubungsmittelabhängig ist und mehrfach
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen ist oder auffällt.
Die Annahme einer geringen Schuld stellt letztlich - unter Beachtung der in §
153 StPO entwickelten Kriterien - eine Einzelfallentscheidung dar, die bei dem
in Betracht stehenden Personenkreis - eventuell in Zusammenarbeit mit der
Drogenberatung und den Therapieeinrichtungen - vornehmlich auf die
Persönlichkeit des Täters, sein Suchtverhalten und seine Therapiewilligkeit
abstellt. Dabei können die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Täters
wie insbesondere eine ernsthafte Therapiebereitschaft oder die Dauer des
Tatzwischenraumes bzw. die Rückfallgeschwindigkeit von Bedeutung sein. Eine
größere Schuld kann insbesondere vorliegen, wenn die Tat von einem Erzieher
oder einem mit dem Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes beauftragten Amtsträger
begangen wird.
3.
Ein öffentliches Interesse liegt in
der Regel vor, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des von der Tat
Betroffenen hinaus gestört ist und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges
Anliegen der Allgemeinheit ist.
Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung wird danach bei einem
besonders sozialschädlichen Verhalten des Täters anzunehmen sein, z. B. wenn
Betäubungsmittel in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung
auf nicht abhängige Jugendliche und Heranwachsende haben kann oder sonst eine
Fremdgefährdung bedeutet. Dies gilt insbesondere, wenn Betäubungsmittel in der
Öffentlichkeit ostentativ vor besonders schutzbedürftigen Personen (z. B.
Kindern und Jugendlichen) sowie vor oder in Einrichtungen, die von diesem
Personenkreis genutzt werden (z. B. Schulen, Jugendheime, Kasernen,
Spielplätze), konsumiert werden und die Tat so Anlass zur Nachahmung gibt.
Bei Konsumverhaltensweisen von Gefangenen gebietet das öffentliche Interesse
zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den Vollzugsanstalten in
der Regel eine Strafverfolgung. Da andererseits im Rahmen der Behandlung von
Drogenabhängigen auch in einer Justizvollzugsanstalt mit Rückfällen gerechnet
werden muss und das Behandlungskonzept in Frage gestellt sein kann, wenn jeder
- einmalige - Rückfall eine Bestrafung nach sich zieht, kommt hier eine
Einstellung nur nach Lage des Einzelfalles in enger Zusammenarbeit der
Staatsanwaltschaft mit dem Vollzug in Betracht.
III.
Bei Jugendlichen und Heranwachsenden stehen Maßnahmen nach dem
Jugendgerichtsgesetz im Vordergrund, die dem Erziehungsgedanken des
Jugendstrafrechts unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und der Entwicklung
junger Menschen Rechnung tragen.
Auf die Richtlinien zur Förderung der Diversion im Jugendstrafverfahren -
Diversionsrichtlinien
- (Gem. RdErl. d.
Justizministeriums, d. Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, d.
Innenministeriums u. d. Kultusministeriums v. 1. 2. 1992, MBl. NW. S. 451/SMBl. NW. 451)
wird hingewiesen. Unter den Voraussetzungen des § 31 a
BtMG wird die Diversion entsprechend der Nummer 1.2 der Diversionsrichtlinien
regelmäßig in Betracht kommen.
IV.
Die Polizei führt in den Fällen, in denen nach den vorstehenden Gesichtspunkten
eine Einstellung des Verfahrens nach § 31 a BtMG in Betracht kommt, eine Wägung
des Betäubungsmittels und einen Vortest durch und vernimmt die beschuldigte
Person kurz zur Konsumverhaltensweise und zur Herkunft des Betäubungsmittels
oder gibt ihr in geeigneten Fällen Gelegenheit zu einer schriftlichen Äußerung.
Bei der Wägung genügt in der Regel eine sog. "Bruttowägung", soweit
nicht erkennbar ein Missverhältnis zwischen Verpackungs- und
Betäubungsmittelgewicht besteht. Sie stellt das Betäubungsmittel sowie die
Konsumutensilien sicher, führt eine Erklärung über die Einziehung
sichergestellter Gegenstände, insbesondere die Betäubungsmittel und die
Konsumutensilien, herbei und übersendet den Vorgang mit der Strafanzeige
unverzüglich der Staatsanwaltschaft.
Auf Zeugenvernehmungen und weitere Ermittlungsmaßnahmen, auch weitergehende
kriminaltechnische Untersuchungen, kann, soweit die Staatsanwaltschaft nicht
etwas anderes anordnet, verzichtet werden.
Bei Abgabe des Ermittlungsvorgangs an die Staatsanwaltschaft kann die Polizei
eine Anwendung dieser Richtlinien anregen, soweit sie aufgrund ihrer
Erkenntnisse den Eindruck gewonnen hat, dass sich eine Verfahrenserledigung auf
diesem Wege anbietet.
V.
Die vorstehenden Richtlinien haben mit Rücksicht auf den Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (- 2 BvL 43/92 u.a. -) nur
vorläufigen Charakter.
Sie ergehen im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und
Soziales.
MBl. NRW. 1994 S. 618