Geltende Erlasse (SMBl. NRW.) mit Stand vom 15.11.2024
Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen RdErl. des Innenministeriums - 41 - 61.05.01 - 3 - vom 25.8.2008
Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen RdErl. des Innenministeriums - 41 - 61.05.01 - 3 - vom 25.8.2008
Aufgaben der Polizei bei
Verkehrsunfällen
RdErl. des
Innenministeriums - 41 - 61.05.01 - 3 -
vom 25.8.2008
Inhalt
1 Allgemeines
1.1 Definition Verkehrsunfall
1.2 Grundsätze
1.3 Einteilung der Verkehrsunfälle
2 Verfahren
2.1 Verkehrsunfallaufnahme
2.1.1 Allgemeines
2.1.2 Erste Maßnahmen
2.1.3 Verkehrsunfallbefund
2.1.4 Weitere Maßnahmen
2.1.5 Maßnahmen in besonderen Fällen
2.1.5.1 Todesfolge
2.1.5.2 Beschädigung der Straße, von Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen
2.1.5.3 Wildunfälle
2.1.5.4 Bahnanlagen
2.1.5.5 Verkehrsunfälle mit 20 und mehr Beteiligten
2.1.5.6 Havariekommissar
2.1.5.7 Verzollte Ladegüter
2.1.5.8 Anzeigenaufnahme bei Verkehrsunfällen im Ausland
2.1.5.9 Abgeordnete
2.1.5.10 Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen
2.1.5.11 Ausländische Staatsangehörige
2.1.5.12 Ausländische Streitkräfte
2.2 Verkehrsunfallbearbeitung
2.2.1 Allgemeines
2.2.2 Ermittlungskommission
2.2.3 Todesfolge
2.2.4 Verletzte
2.2.5 Strafverfahren
2.2.6 Ordnungswidrigkeitenverfahren
2.2.7 Belehrung
2.2.8 Sichergestellte Fahrzeuge
2.2.9 Akteneinsicht/Aktenauskunft
3 Betreuung/Opferschutz
4 Beratungsstelle für Verkehrssicherheit
5 Schlussbestimmungen
Anlagen
1
Allgemeines
1.1
Definition Verkehrsunfall
Ein Verkehrsunfall ist jedes plötzliche und zumindest für einen Beteiligten ungewollte, mit dem öffentlichen Straßenverkehr und seinen typischen Gefahren ursächlich zusammenhängende Ereignis, bei dem Personen- oder Sachschaden entstanden ist.
1.2
Grundsätze
Bei Verkehrsunfällen hat die Polizei folgende Aufgaben:
- Gefahrenabwehr
- Schutz von Leben und Gesundheit sowie von Sachwerten
- Schutz privater Rechte
- Betreuung/Opferschutz
- Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
Die Polizei nimmt jeden ihr bekannt gewordenen Verkehrsunfall auf. In Zweifelsfällen ist zunächst nach diesem Erlass vorzugehen. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Sachverhaltsprüfung vor Ort vorzunehmen ist.
Art und Umfang der Maßnahmen haben sich im Wesentlichen an der Schwere der Unfallfolgen, der Komplexität der Unfallsituation und den Erfordernissen der Beweissicherung auszurichten. Je nach Lage ist über die Einrichtung einer „Besonderen Aufbauorganisation“ (Anlage 1) zu entscheiden.
1.3
Einteilung der Verkehrsunfälle
Die Einteilung der Verkehrsunfälle erfolgt in Unfallkategorien (Anlage 2).
2
Verfahren
2.1
Verkehrsunfallaufnahme
2.1.1
Allgemeines
Die Verkehrsunfallaufnahme umfasst alle polizeilichen Handlungen ab Bekanntwerden des Sachverhalts bis zur Abgabe des Vorgangs an die Sachbearbeitung. Dabei gelten die Grundsätze des Ersten Angriffs (PDV 100 „Führung und Einsatz der Polizei“).
Die Verkehrsunfallaufnahme vor Ort endet mit der Freigabe des Verkehrsunfallortes oder der Übergabe des Verkehrsunfallortes an andere beteiligte Stellen; dies erfolgt in gegenseitiger Absprache.
Insbesondere für Verkehrsunfälle auf Bundesautobahnen gilt, dass die Ermittlungen des Sachverhaltes, die Sicherung von Beweisen und erforderliche Bergungsarbeiten so auszuführen sind, dass notwendige Straßensperrungen zeitlich so kurz und räumlich so gering wie möglich vorgenommen werden. Wenn die Unfallsituation es zulässt, ist der Verkehr an der Unfallstelle vorbei zu führen. Die Polizei achtet ferner darauf, dass außerhalb der Fahrstreifen anfallende Bergungsarbeiten in den verkehrsschwachen Zeiten durchgeführt werden.
2.1.2
Erste Maßnahmen
Die Reihenfolge und der Umfang der polizeilichen Maßnahmen am Unfallort richten sich nach dem Grad der Gefährdung bzw. der Wertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter. Die Absicherung der Unfallstelle und Erste-Hilfe-Maßnahmen haben Vorrang vor der Beweissicherung. Bei Verkehrsunfällen mit komplexer Spurenlage oder schweren Folgen ist die Einbindung von Fachdienststellen in die Verkehrsunfallaufnahme zu prüfen; die Möglichkeiten der Kriminaltechnik sind auszuschöpfen.
Verkehrsmaßnahmen richten sich nach dem Ausmaß des Verkehrsunfalls und der voraussichtlichen Dauer der Verkehrsstörung. Auf den Autobahnen greifen die besonderen Regelungen des Staumanagements. Bei länger andauernden Störungen ist die zuständige Straßenverkehrsbehörde zu unterrichten.
2.1.3
Verkehrsunfallbefund
Ein Verkehrsunfallort ist ein Tatort.
Die Situation beim Eintreffen am Verkehrsunfallort ist insbesondere bei Verkehrsunfällen mit komplexer Spurenlage oder schweren Folgen zu dokumentieren. Spuren sind zu schützen. Es ist darauf zu achten, dass Veränderungen der Spurenlage möglichst verhindert werden; eine veränderte Spurenlage ist zu dokumentieren.
Die Daten der Personen, die als Beteiligte, sonstige Geschädigte oder Zeugen in Frage kommen, sind zu erheben.
Im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme sind objektive und subjektive Befunde zu erheben. Für den objektiven Befund werden Sachbeweise erhoben. Der subjektive Befund umfasst die Aussagen von Beteiligten und Zeugen sowie eigene Schlussfolgerungen. Beschuldigte, Betroffene und Zeugen sind zu belehren; dies ist aktenkundig zu machen.
Die Ergebnisse des objektiven und subjektiven Befundes sind zusammenzuführen und abzugleichen. Dadurch können sich auch Hinweise auf strafrechtlich oder strafprozessual relevante Sachverhalte, wie manipulierte Verkehrsunfälle, Kapitaldelikte oder Suizide ergeben. Hierüber ist unverzüglich die jeweils zuständige Fachdienststelle zu informieren.
Im Anschluss werden die Unfallursache, das Verkehrsdelikt und der Verursacher vorläufig bestimmt.
2.1.4
Weitere Maßnahmen
Die jeweils erforderlichen Maßnahmen zur Verkehrsunfallaufnahme sind in Anlage 2 dargestellt. Die Verkehrsunfallorte sind nach Maßgabe der Standards zur digitalen Spurensicherung und -auswertung bei der Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung (Anlage 3) zu erfassen. Bei Verkehrsunfällen sind beweissichernde Fotos zu fertigen. Darauf kann verzichtet werden, wenn das Verfahren durch die Erhebung eines Verwarnungsgeldes abgeschlossen wird.
Den Beteiligten und sonstigen Geschädigten ist im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme eine Durchschrift der Unfallmitteilung (Anlage 4) mit der ausgefüllten Seite 1 (einschl. Handskizze) auszuhändigen. Ist dies vor Ort nicht möglich, ist in geeigneter Weise dafür Sorge zu tragen, dass Berechtigte diese erhalten. Auf Seite 2 ist die Eintragung weiterer unfallrelevanter Daten für interne Zwecke möglich. Bei Übernahme in die Unfallblattsammlung ist die Unfallmitteilung zu anonymisieren.
Zur Rekonstruktion des Unfallherganges sowie zur technischen Untersuchung von beteiligten Fahrzeugen kann in begründeten Ausnahmefällen ein Sachverständiger beauftragt werden, wenn dies zur Ergänzung der polizeilichen Beweisaufnahme unerlässlich ist. Im Strafverfahren sind Sachverständige grundsätzlich nur von der Staatsanwaltschaft zu beauftragen. Ist eine sofortige Hinzuziehung erforderlich, die Staatsanwaltschaft jedoch nicht zu erreichen, kann die Polizei dies veranlassen; die Staatsanwaltschaft ist unverzüglich zu informieren.
Im Bußgeldverfahren können Sachverständige von der Polizei beauftragt werden, solange sie die Sache nicht an die zuständigen Bußgeldbehörden abgegeben hat.
In der Verkehrsunfallanzeige sind Aussagen zur Unfallart und Verkehrsbeteiligung zu treffen (Anlagen 5 und 6).
Bei Verkehrsunfällen mit komplexer Spurenlage oder schweren Folgen ist der Text der Verkehrsunfallanzeige in Form des Verkehrsunfallbefundberichts (Anlage 7) zu fertigen.
2.1.5
Maßnahmen in besonderen Fällen
2.1.5.1
Todesfolge
Wird durch einen Verkehrsunfall eine Person getötet, ist der Tod durch einen Arzt feststellen zu lassen. Die Ausstellung einer Todesbescheinigung ist durch die Polizei zu veranlassen. Die Staatsanwaltschaft ist unverzüglich zu unterrichten.
Sofern die Vornahme richterlicher Untersuchungshandlungen erforderlich erscheint, ist die Staatsanwaltschaft oder, wenn nicht erreichbar, das zuständige Amtsgericht zu unterrichten.
Die Leiche ist bis zur Freigabe durch die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht zu beschlagnahmen.
2.1.5.2
Beschädigung der Straße, von Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen
Kommt es bei einem Verkehrsunfall zu einer Beschädigung der Straße bzw. von Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen, sind dem zuständigen Straßenbaulastträger die für die Schadensregulierung notwendigen Daten zuzuleiten.
2.1.5.3
Wildunfälle
Bei Wildunfällen ist der Jagdausübungsberechtigte oder, wenn dieser nicht erreichbar ist bzw. auf sein Aneignungsrecht verzichtet, der zuständige Straßenbaulastträger zu unterrichten.
2.1.5.4
Bahnanlagen
Verkehrsunfälle auf Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes und sonstiger Betreiber, insbesondere auf Bahnübergängen, sind von der zuständigen Kreispolizeibehörde aufzunehmen, zu bearbeiten und statistisch zu erfassen.
2.1.5.5
Verkehrsunfälle mit 20 oder mehr Beteiligten
Bei Verkehrsunfällen mit 20 oder mehr beteiligten Fahrzeugen ist der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) unverzüglich zu unterrichten.
2.1.5.6
Havariekommissar
Werden bei einem Verkehrsunfall unter Beteiligung eines im Güterverkehr eingesetzten Kraftfahrzeuges Ladegüter beschädigt, vernichtet oder ist der Weitertransport wegen Beschädigung des Transportfahrzeuges fraglich, kann der zuständige Havariekommissar hinzugezogen werden.
2.1.5.7
Verzollte Ladegüter
Sind bei einem Verkehrsunfall Fahrzeuge mit verzollten Ladegütern beteiligt und wurden diese beschädigt, vernichtet oder ist der Weitertransport wegen Beschädigung des Transportfahrzeuges fraglich, ist die für den Verkehrsunfallort zuständige Zolldienststelle zu verständigen. Das gilt auch bei einer Beschädigung des Zollverschlusses.
2.1.5.8
Anzeigenaufnahme bei Verkehrsunfällen im Ausland
Auf Wunsch von Beteiligten bzw. sonstigen Geschädigten ist eine Verkehrsunfallanzeige aufzunehmen, wenn es sich um eine Auslandsstraftat handelt. Ermittlungen sind auf das notwendige Maß zu beschränken.
Die Beteiligten/Geschädigten können an das Deutsche Büro Grüne Karte e.V. zur Hilfe bei der Schadensregulierung verwiesen werden.
2.1.5.9
Abgeordnete
Abgeordnete genießen Schutz vor Strafverfolgung (Immunität), es sei denn, dass sie bei der Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen werden. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist uneingeschränkt möglich.
Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Abgeordneten sind beschleunigt zu bearbeiten und unverzüglich der Staatsanwaltschaft oder der Bußgeldstelle zuzuleiten.
2.1.5.10
Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen
Gegen Diplomaten, eine diplomatische Mission, deren Mitglieder und Familienangehörigen, soweit diese gemäß §§ 18 ff. GVG Immunität genießen, sind Maßnahmen der Strafverfolgung sowie Maßnahmen auf Grund des Ordnungswidrigkeitengesetzes unzulässig. Stellt die Polizei bei Verkehrsstraftaten fest, dass der Verantwortliche einen exterritorialen Status genießt, ist der Vorgang der Staatsanwaltschaft beschleunigt zuzuleiten.
Sind exterritoriale Personen an Verkehrsunfällen mit Schwerverletzten oder Toten beteiligt, ist das Lagezentrum des für Inneres zuständigen Ministeriums unverzüglich unter nachrichtlicher Beteiligung der Landesleitstelle zu informieren. Von dort wird das Auswärtige Amt (Protokoll) in Berlin benachrichtigt. Bei Abgabe der Vorgänge an die Staatsanwaltschaft ist auf diese Vorabunterrichtung hinzuweisen.
Hängt die Zulässigkeit von Sofortmaßnahmen (z. B. Festnahme, Blutentnahme, Sicherstellung des Fahrzeugs) davon ab, ob der Betroffene exterritorialen Status hat, so kann sich die Polizei in Zweifelsfällen unmittelbar fernmündlich oder fernschriftlich an das Lagezentrum des Auswärtigen Amtes (Protokoll) in Berlin wenden. Die Anfrage kann hilfsweise auch an den Polizeipräsidenten Berlin gerichtet werden.
2.1.5.11
Ausländische Staatsangehörige
Werden ausländische Staatsangehörige, die sich vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, bei Verkehrsunfällen getötet oder schwer verletzt, ist die zuständige konsularische Vertretung unverzüglich zu unterrichten.
2.1.5.12
Ausländische Streitkräfte
Schadensfälle mit Fahrzeugen von in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräften bzw. mit Privatfahrzeugen von Mitgliedern der ausländischen Streitkräfte, ihres zivilen Gefolges oder ihrer Angehörigen sind im „Merkblatt zur Bearbeitung von Auto-Haftpflichtschäden durch den Verein Deutsches Büro Grüne Karte und den Verein Verkehrsopferhilfe“ geregelt. Bei Verkehrsunfällen mit getöteten oder schwer verletzten Militärangehörigen (Soldaten, ziviles Gefolge) sowie bei sonstigen außergewöhnlichen Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Militärangehörigen ist umgehend die zuständige Militärpolizei zu unterrichten.
2.2
Verkehrsunfallbearbeitung
2.2.1
Allgemeines
Die
Sachbearbeitung umfasst alle Ermittlungshandlungen und sonstigen Tätigkeiten im
Anschluss an die Verkehrsunfallaufnahme bis zur Abgabe an die
Staatsanwaltschaft oder Bußgeldbehörde. Zu den Ermittlungshandlungen gehören
die Vernehmung und Anhörung von Beteiligten und Zeugen sowie weitere
strafprozessuale Maßnahmen.
Ist das Verfahren „Monobild-digital“ zur Spurensicherung angewendet worden, ergibt sich die weitere Vorgehensweise aus Anlage 3.
Darüber hinaus erfolgt hier die ergänzende Datenerfassung und -korrektur sowie die Datenfreigabe für die Verkehrsunfalldatei Nordrhein-Westfalen (VUD NRW).
Anfragen zu Verkehrsunfällen sind grundsätzlich von der Sachbearbeitung zu beantworten.
2.2.2
Ermittlungskommission
Bei unklarem Unfallhergang oder komplexer Spuren- und Beweislage kann die Einrichtung einer Ermittlungskommission erforderlich sein.
2.2.3
Todesfolge
Sind Personen durch einen Verkehrsunfall getötet worden, ist grundsätzlich eine polizeiliche Leichenschau durchzuführen. Diese polizeiliche Leichenschau erfolgt grundsätzlich nicht am Verkehrsunfallort. Über das Ergebnis ist die Staatsanwaltschaft zu informieren.
Zur Identifizierung unbekannter Toter ist die zuständige Fachdienststelle hinzuzuziehen.
2.2.4
Verletzte
Sind Personen durch einen Verkehrsunfall verletzt worden, ist die Verkehrsunfallanzeige auch dann als Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft weiter zu leiten, wenn der Verletzte keinen Strafantrag stellt.
Wegen der im Einzelfall zu treffenden Ermessensentscheidung zum "besonderen öffentlichen Interesse" sind der Staatsanwaltschaft alle im Sinne der Nr. 243 III RiStBV erforderlichen Fakten mitzuteilen. Hierzu gehört auch die Angabe, ob der Verletzte Strafantrag gestellt hat oder nicht.
Bei stationärem Krankenhausaufenthalt ist die Dauer zu ermitteln. Die Unfallkategorie ist gegebenenfalls anzupassen. Dies gilt auch, wenn im Rahmen der Ermittlungen festgestellt wird, dass keine Verletzungen vorgelegen haben. Werden Verletzungen nachträglich bekannt, ist eine Verkehrsunfallanzeige zu erstellen.
2.2.5
Strafverfahren
Wird wegen eines Verkehrsunfalls ein Strafverfahren eingeleitet, ist der Beschuldigte grundsätzlich verantwortlich zu vernehmen. Handelt es sich um Verkehrsunfälle mit Leichtverletzten und/oder mit Sachschaden und klarer Sach- und Rechtslage, ist ihm Gelegenheit zu geben, sich schriftlich zu äußern. Zeugen und sonstige Geschädigte sind in der Regel aufzufordern, ihre Aussagen schriftlich mitzuteilen. Falls erforderlich, sind sie nachträglich zu vernehmen.
Ergibt sich bei der Bearbeitung von Verkehrsunfällen der Verdacht einer verkehrsfremden Straftat, ist das zuständige Fachkommissariat in Kenntnis zu setzen; ggf. ist der Gesamtvorgang abzugeben. Wird der Vorgang getrennt, ist der gegenseitige Verweis erforderlich; dies gilt insbesondere bei Tateinheit (Gefahr des Strafklageverbrauchs). In Zweifelsfällen ist eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft herbeizuführen.
2.2.6
Ordnungswidrigkeitenverfahren
Wird
wegen eines Verkehrsunfalls ein Bußgeldverfahren eingeleitet, ist dem
Betroffenen und Zeugen im Interesse eines beschleunigten Verfahrens bereits am
Verkehrsunfallort unter Beachtung der Belehrungspflichten Gelegenheit zu geben,
sich zur Sache zu äußern. Ist das nicht möglich, erfolgt die Anhörung durch die
Bußgeldbehörde.
2.2.7
Belehrung
Die Belehrung von Beschuldigten/Betroffenen und Zeugen ist aktenkundig zu machen.
2.2.8
Sichergestellte Fahrzeuge
Fahrzeuge, die für die Verkehrsunfallsachbearbeitung als Beweismittel nicht mehr benötigt werden, sind unverzüglich an Berechtigte auszuhändigen, soweit keine anderen Gründe die weitere Sicherstellung oder Beschlagnahme erfordern.
2.2.9
Akteneinsicht/Aktenauskunft
In Strafverfahren wird Akteneinsicht nur durch die Staatsanwaltschaft gewährt.
In Ordnungswidrigkeitenverfahren kann die Polizei Akteneinsicht gewähren, wenn ein berechtigtes Interesse nachgewiesen und der Ermittlungszweck nicht gefährdet wird oder die Verjährung droht. Hat die Polizei ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt, ist die entscheidende Dienststelle zur Auskunft und zur Gewährung von Akteneinsicht verpflichtet.
Auskunftsersuchende in Straf- oder Bußgeldverfahren sind unter Angabe des Aktenzeichens grundsätzlich an die Staatsanwaltschaft oder Bußgeldbehörde zu verweisen, wenn der Vorgang bereits weitergeleitet worden ist.
Behörden sowie Sozialversicherungsträgern sind auf Antrag bei Vorliegen eines berechtigten Interesses im Einzelfall Kopien der Verkehrsunfallanzeige zuzuleiten. Für weitergehende Auskünfte sind sie unter Angabe des Aktenzeichens an die Staatsanwaltschaft bzw. Bußgeldstelle zu verweisen.
3
Betreuung/Opferschutz
Im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme sind bei Verkehrsunfällen mit schweren Folgen, insbesondere bei tödlichen oder lebensbedrohlichen Verletzungen, Maßnahmen zur Betreuung der bzw. Opferschutzmaßnahmen für die Unfallbeteiligten und, soweit erforderlich, für weitere Betroffene (z. B. Angehörige und Zeugen) durchzuführen.
Sofern bei Verkehrsunfällen eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) gebildet wird, sollte ein eigener Einsatzabschnitt „Betreuung/Opferschutz“ eingerichtet werden (Anlage 1).
Die Angehörigen tödlich verunglückter oder schwer verletzter Personen sind durch die Polizei, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Seelsorgers oder einer anderen vertrauenswürdigen Person, zeitnah zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung und ggf. erforderlich werdende weitere Maßnahmen der Betreuung bzw. des Opferschutzes sind möglichst hierfür besonders geeigneten Beamten zu übertragen.
In Zusammenarbeit mit örtlichen Hilfsorganisationen (z. B. Feuerwehr, Rettungsdiensten, Notärzten und Seelsorgern) sind Netzwerke zu bilden, um eine zeitnahe Übernahme der Opferbetreuung durch Dritte zu gewährleisten.
Bei der Nachbesprechung herausragender Verkehrsunfälle können Erfahrungen anderer mitwirkender staatlicher und/oder freier Träger der Betreuung bzw. des Opferschutzes eingebracht werden.
Für die eingesetzten Polizeikräfte ist bei besonders belastenden Verkehrsunfalllagen zu prüfen, ob die Hinzuziehung eines Betreuungsteams im Sinne der PDV 100, Landesteil NRW, Teil D, geboten ist.
4
Beratungsstelle für Verkehrssicherheit
Die Beratungsstelle für Verkehrssicherheit beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD NRW) sammelt und bewertet Informationen, die für die Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung von Bedeutung sind und ist Ansprechpartnerin für fachliche Fragen. Sie stellt den Polizeibehörden Erkenntnisse und sonstige ergänzende Hinweise in geeigneter Weise zur Verfügung.
5
Schlussbestimmungen
Im Interesse der Lesbarkeit dieses Erlasses wird nur eine Sprachform verwandt, wenn der jeweilige Begriff in anzuwendenden Rechtsvorschriften in dieser Form üblich ist.
Dieser Runderlass ergeht im Einvernehmen mit dem für Verkehr zuständigen Ministerium und dem Justizministerium.
Die Anlagen werden im Intrapol Nordrhein-Westfalen eingestellt.
Mein RdErl. v. 11.5.1998 (SMBl. NRW. 2051) „Aufgaben der Polizei bei Straßenverkehrsunfällen“ wird aufgehoben.
Anlagen
Anlage 1: BAO „Verkehrsunfall“
Anlage 2: Unfallgruppen und -kategorien
Anlage
3: Standards
Anlage 4: Unfallmitteilung
Anlage 5: Unfallarten
Anlage 6: Verkehrsbeteiligungen
Anlage 7: Verkehrsunfallbefundbericht
Anlage 8: Unfallursachen
Anlage
9: Unfalltypen
MBl. NRW. 2008 S. 470, geändert d. RdErl. v. 11.8.2011 (MBl. NRW. 2011 S. 304), 18.12.2012 (MBl. NRW. 2012 S. 742).
Anlagen: