Aufgehobener Erlass:
Aufgehoben durch RdErl. v. 6.3.2009 (MBl. NRW. 2009 S. 138).
Naturschutzrechtliche
Eingriffsregelung bei Bundesfern- und Landesstraßen
gemäß Bundesnaturschutzgesetz und Landschaftsgesetz NW -
Eingriffsregelung Straße (E Reg Stra)
Gem. RdErl. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und
Verkehr
- 611 - 13-16 (17) (1.1.2003: MVEL)
u. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft
- III B 4 - 605.01.03.01/03 (1.1.2003: MUNLV)
v. 25.2.1999
1
Zweck
Zweck dieses Erlasses ist die Einführung eines landeseinheitlichen
Verfahrens zur Bewertung des Eingriffs und der Kompensation bei der Errichtung
oder wesentlichen Änderung von Bundesfern- und Landesstraßen in der Baulast des
Bundes oder der Landschaftsverbände.
2
Gutachtermodell
Das Bewertungsverfahren wurde von einer Gutachtergruppe auf
fachwissenschaftlicher Grundlage entwickelt.
Es wird daher im Folgenden als "Gutachtermodell" bezeichnet.
Das Gutachtermodell beschreibt alle für die
Umsetzung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung maßgebenden
Arbeitsschritte in den Bereichen
- Naturhaushalt (biotische und abiotische Faktoren) bzw.
- Landschaftsbild (einschließlich Eignung der Landschaft
für die naturbezogene Erholung)
und gibt dazu Arbeitshilfen.
Das Gutachtermodell stellt vorrangig auf eine verbal-argumentative
Problembewältigung ab, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht werden zu können.
Die im Gutachtermodell enthaltenen formalisierten Ansätze zur Bewertung des
Eingriffs und zur Ermittlung des Kompensationsumfangs sind lediglich
Wertzuordnungen, die der Transparenz undNachvollziehbarkeit der
Bewertungsergebnisse dienen.
Das Gutachtermodell ist nach Maßgabe dieses
Erlasses anzuwenden; der Anwendungsbereich ergibt sich aus Anlage 1.
Als Orientierungshilfe wird das Gutachtermodell
durch ein Fallbeispiel ergänzt (Neubau einer vierstreifigen Autobahn). Dieses
stellt noch keinen vollständigen landschaftspflegerischen Begleitplan dar,
sondern dient lediglich dazu, die praktische Umsetzung der entwickelten Methode
zu dokumentieren und ihre Handhabbarkeit zu belegen (vgl. Nr. 4 des
Gutachtermodells).
3
Vereinfachtes Bewertungsverfahren
In Abhängigkeit von der Art des geplanten
Vorhabens und der zu erwartenden Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des
Naturhaushalts und des Landschaftsbildes ist die Anwendung des Gutachtermodells
in vereinfachter Form zulässig (vereinfachtes Bewertungsverfahren). Damit soll
der bewertungsmethodische Aufwand vor allem bei solchen Vorhaben verringert
werden, bei denen von vornherein mit weniger gravierenden Eingriffsfolgen zu
rechnen ist.
Beispiel:
Die Anlage eines Radweges führt - verglichen mit dem Neubau
einer Autobahn - in der Regel weder zu spürbaren Zerschneidungswirkungen für
die Tierwelt noch zu erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen der
Pflanzenwelt außerhalb der vom Baukörper unmittelbar beanspruchten Fläche; auch
das Landschaftsbild wird in der Regel kaum betroffen.
Die Vereinfachung bezieht sich im Wesentlichen
auf die formalisierten Wertzuordnungen; näheres hierzu regeln die Anlagen 2
und 3.
Das vereinfachte Bewertungsverfahren ist nach
Maßgabe dieses Erlasses anzuwenden; der Anwendungsbereich ergibt sich aus Anlage
1.
4
Ergänzende Hinweise
Die nachfolgend aufgeführten Merkmale des Naturhaushalts und
des Landschaftsbildes sind in Bestandskarten darzustellen, damit die darauf
aufbauenden Bewertungen nachvollziehbar sind.
4.1.1
Biotische Funktionen
Voraussetzung für die Anwendung des Gutachtermodells ist
eine flächendeckende Erfassung und Kartierung der Biotoptypen innerhalb des Untersuchungsraumes
anhand der Biotoptypenliste des Gutachtermodells (vgl. Abb. 3.1.1-6 des
Gutachtermodells); vorhandene Unterlagen und örtliche Erhebungen sind
heranzuziehen.
Tierarten, die an Lebensräume gebunden sind,
die verschiedene Biotoptypen umfassen (Biotopkomplexe) und die zur
Aufrechterhaltung ihrer Population entsprechende Areale benötigen, sind
gesondert zu erfassen.
Vorliegende faunistische und
vegetationskundliche Daten sind - eventuell ergänzt durch örtliche Erhebungen -
auszuwerten, soweit dies zur Beurteilung der Beeinträchtigungen erforderlich
ist. Die Notwendigkeit einer vertieften faunistischen Untersuchung muss anhand
der ermittelten Daten belegt werden können.
4.1.2
Abiotische Funktionen
Voraussetzung für die Ermittlung der straßenbedingten
Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts ist die Kenntnis
über alle potentiell beeinträchtigten abiotischen Landschaftsfaktoren, also
Boden(einschließlich Geomorphologie), Wasser und Klima/Luft.
Hierbei ist zwischen Wert- und
Funktionselementen von allgemeiner und besonderer Bedeutung zu unterscheiden
(vgl. Nrn. 3.1.2.1 und 3.1.2.2 des Gutachtermodells i.V.m. den
"Empfehlungen für die Abhandlung der Eingriffsregelung beim Bundesfernstraßenbau"
des Bundesministeriums für Verkehr - BMV).
4.1.3
Landschaftsbild und landschaftsgebundene Erholung
Das Gutachtermodell (vgl. Nrn. 3.2.1.2 und 3.2.2.2 des
Gutachtermodells) basiert auf einer Untergliederung des Untersuchungsgebietes
in landschaftsästhetische Raumeinheiten sowie einer Erfassung der
- ästhetisch wirksamen, insbesondere der charakteristischen
und der untypischen Landschaftselemente,
- ausgewiesenen Erholungsräume,
- relevanten Landschaftsbestandteile und Infrastruktur für
naturbezogene Erholung,
- schutzwürdigen Objekte und Flächen,
- bioklimatischen Daten und
- ruhigen und geruchsarmen Bereiche.
Die hierzu erforderlichen Kartierarbeiten
werden im Zuge der Biotoptypenkartierung vorgenommen, die ihrerseits eine
Grundlage für die Ermittlung relevanter Landschaftsbildstrukturen darstellt.
4.2
Bewertung der "Erheblichkeit" und
"Nachhaltigkeit" von
Beeinträchtigungen
aus § 4 Abs. 4 des Gesetzes zur Sicherung des Naturhaushalts und zur
Entwicklung der Landschaft - Landschaftsgesetz (LG) - folgt, dass nach
Abschluss der Bestandsaufnahme zunächst Vorkehrungen zur
Vermeidung oder Minderung von Beeinträchtigungen zu prüfen sind (vgl. Nrn.
3.1.1.5.2, 3.1.2.5 und 3.2.1.5.2 des Gutachtermodells).
Sodann ist vor der weiteren Anwendung des
Gutachtermodells bzw. des vereinfachten Bewertungsverfahrens zu prüfen, ob
unvermeidbare Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder
des Landschaftsbildes als erheblich oder nachhaltig eingestuft werden müssen.
Dabei ist im Einzelnen wie folgt vorzugehen:
- Innerhalb der vom
Straßenkörper überlagerten Fläche (versiegelte Fläche einschließlich Bankette,
Mittelstreifen und Böschungen) ist grundsätzlich von einer Erheblichkeit und
Nachhaltigkeit der Beeinträchtigungen auszugehen (vgl. Nrn.
3.1.1.5.1 und 3.2.1.5.1 des Gutachtermodells).
- Außerhalb der vom Straßenkörper überlagerten
Fläche ist - abweichend vom Gutachtermodell - zu prüfen, ob und in welchem
Umfang die von der Straße ausgehenden Wirkungen zu erheblichen oder
nachhaltigen Beeinträchtigungen führen können. Die im Gutachtermodell
festgelegten Wirkzonen (auch die visuellen Wirkzonen des Landschaftsbildes)
sind dabei als "Suchräume" heranzuziehen.
Eine immissionsmindernde Wirkung vorhandener
oder geplanter Schutzanlagen (z.B. Lärmschutzwände, Gehölzpflanzungen) ist in
die Prüfung der Erheblichkeit und Nachhaltigkeit von Beeinträchtigungen
grundsätzlich einzubeziehen und ggf. durch Modifikation des
Beeinträchtigungsfaktors F (vgl. Nr. 3.1.1.5.4 des Gutachtermodells) zu
berücksichtigen.
Ob und wie sich die Minderung der
Schadstoffkonzentration auf den Beeinträchtigungsfaktor auswirkt, bedarf der
einzelfallbezogenen Festlegung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der
Beeinträchtigungsfaktor nicht nur schadstoffbedingte Wirkungen, sondern darüber
hinaus z.B. auch Trennwirkungen beinhaltet und dass Lärmschutzwände insoweit
auch eingriffsverstärkende Wirkungen entfalten können. Ebenso können
Gehölzpflanzungen geringer Tiefe unter Umständen im Nahbereich der Straße zu
Schadstoffanreicherungen führen.
Anhaltswerte zur Minderung der
Schadstoffkonzentration in Abhängigkeit von der Höhe einer Lärmschutzwand oder
der Tiefe einer Gehölzpflanzung geben die Tabellen 1 und 2 (siehe Anlage 4).
Bei Einschnitten und Wällen ist unter Berücksichtigung des Einzelfalles
entsprechend zu verfahren.
Die
Prüfung der Erheblichkeit oder Nachhaltigkeit von Beeinträchtigungen erfolgt in
verbal-argumentativer Form im Rahmen der Grundleistungen des HIV, indem die straßenbedingten Wirkungen
mit den Ausprägungen der betroffenen biotischen und abiotischen Funktionen
sowie der Funktionen des Landschaftsbildes vor dem Hintergrund bestehender
naturschutzfachlicher Ziele verknüpft werden. Abgrenzungshinweise dazu geben
verschiedene Forschungsberichte.
Die Prüftiefe richtet sich nach den jeweiligen
örtlichen Verhältnissen; sie kann in Abhängigkeit von der Intensität der
straßenbedingten Wirkungen sowie der Empfindlichkeit und Bedeutung der
betroffenen Biotoptypen und des Landschaftsbildes variieren. Im Ergebnis kommt
es immer auf die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der jeweils begründeten
Annahme an.
Beispiel:
Befinden sich außerhalb der vom Straßenkörper überlagerten
Fläche intensiv genutzte Ackerflächen, so wird die Prüfung der Erheblichkeit
und Nachhaltigkeit von Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des
Naturhaushalts in der Regel dazu führen, dass für derartige Flächen ein
Kompensationserfordernis nicht besteht (geringe Bedeutung der Flächen für die
Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, geringe Empfindlichkeit gegenüber
straßenbedingten Wirkungen).
Derartige Flächen werden allerdings dann zu
Kompensationsmaßnahmen führen, wenn nach Lage des Einzelfalles die
Erheblichkeit oder Nachhaltigkeit von Beeinträchtigungen schlüssig dargelegt
werden kann (z.B. im Rahmen der Beurteilung faunistischer Funktionsbeziehungen
oder bei der Betroffenheit von abiotischen Wert- und Funktionselementen
besonderer Bedeutung).
Nach Abschluss der Ermittlung von Art und
Umfang der erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen ist die Anwendung
des Gutachtermodells fortzusetzen; dabei sind der Festlegung von Ausgleichs-
und Ersatzmaßnahmen ausschließlich die unvermeidbaren erheblichen oder
nachhaltigen Beeinträchtigungen zugrunde zu legen.
4.3
Begründung der Kompensationsmaßnahmen
Funktion, Lage und Umfang der Kompensationsmaßnahmen sind
unter Beachtung von Art, Umfang und Intensität der Beeinträchtigungen vorrangig
verbal-argumentativ darzulegen. Die Herleitung des Kompensationsumfangs nach
den formalisierten Wertzuordnungen des Gutachtermodells (vgl. Nrn. 3.1.1.6 und
3.1.2.6 sowie Nrn. 3.2.1.6 und 3.2.2.6 des Gutachtermodells) darf nicht
losgelöst hiervon erfolgen.
Die verbal-argumentative Herleitung ist die
wesentliche Begründung der Eignung und Erforderlichkeit der Kompensationsmaßnahmen,
welche ihrerseits Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Grundflächen
sind. In begründeten Zweifelsfällen hat das Ergebnis der verbal-argumentativen
Bewertung Vorrang vor dem Ergebnis der formalisierten Wertzuordnungen.
Soweit sich für bestimmte
Funktionsbeeinträchtigungen (z.B. Inanspruchnahme von Einzelgehölzen,
Grundwasserveränderungen, Beeinträchtigungen von Biotopkomplexen) der
Kompensationsumfang nicht über einen flächenbezogenen Ansatz mit Hilfe des
Gutachtermodells ermitteln lässt, sind die Ergebnisse der verbal-argumentativen
Herleitung in der Eingriffs-Ausgleichs-Bilanz gesondert auszuweisen.
Werden Straßenböschungen auf ökologisch
geringwertigen Flächen angelegt, sind Kompensationsmaßnahmen hierfür außerhalb
des Straßenkörpers nicht mehr erforderlich; derartige Böschungen gelten durch
ihre Bepflanzung als in sich selbst ausgeglichen.
Straßenbedingte Eingriffe haben Auswirkungen
auf Grundflächen, die gleichzeitig mehrere Funktionen des Naturhaushalts und
des Landschaftsbildes erfüllen können. Deshalb sind nach Art, Lage und Umfang
auch Kompensationsmaßnahmen anzustreben, die eine Mehrfachfunktionalität von
Flächen gewährleisten. Das Gutachtermodell berücksichtigt diesen Grundsatz
bereits bei der Zusammenführung der Teilergebnisse für die biotischen und
abiotischen Funktionen innerhalb des Naturhaushalts sowie für die Funktionen
des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes (vgl. Nrn. 3.1.3 und 3.3 des
Gutachtermodells). Es ist darüber hinaus immer zu prüfen, ob und inwieweit eine
geplante Kompensationsmaßnahme die Überlagerung der Funktionen zulässt. Dies
gilt insbesondere für Beeinträchtigungen von Biotopkomplexen (vgl. Nr.
3.1.1.6.2 des Gutachtermodells).
Der Standort von Kompensationsmaßnahmen ist so
zu wählen, dass die an sie gestellten einzel- und mehrfachfunktionalen
Anforderungen erfüllt werden können. Daraus folgt:
- Ausgleichsmaßnahmen sind in einem engen
räumlichen Zusammenhang zum Ort des Eingriffs und zu den beeinträchtigten
Funktionen zu verwirklichen.
- Ausgleichsmaßnahmen für beeinträchtigte
Funktionen des Naturhaushalts sollen dabei außerhalb der vom Straßenbauvorhaben
erheblich oder nachhaltig beeinträchtigten Bereiche liegen. Abweichungen sind
möglich bzw. geboten, wenn
- spezielle standörtliche Bedingungen dies erfordern,
- Schutzmaßnahmen an der Straße (z.B. Lärmschutzanlagen,
Schutzpflanzungen) trotz der Straßennähe die notwendigen
Entwicklungsbedingungen gewährleisten,
- eine Entsiegelung bisheriger Verkehrsflächen vorgenommen
wird,
- derartige Maßnahmen dem Ausgleich für beeinträchtigte
Zonen, die in der Belastungszone bestehender Straßen liegen, dienen (d.h. bei
bestandsorientiertem Ausbau),
- derartige Maßnahmen in Pufferzonen zu besonders
schutzwürdigen Bereichen liegen.
- Ersatzmaßnahmen sind in dem vom Eingriff betroffenen
Landschaftsraum durchzuführen; dies bedeutet, dass trotz des gelockerten
funktionalen und räumlichen Zusammenhangs ein räumlicher Bezug zwischen
Ersatzmaßnahme und Ort des Eingriffs nicht völlig aufgegeben werden kann.
Landschaftsraum ist der Raum, der in der Gesamtheit seiner belebten und
unbelebten Bestandteile einschließlich ihrer Wechselwirkungen eine
landschaftsökologische Einheit mit typischen Standortverhältnissen bildet.
- Flächen, die sich im Eigentum der
öffentlichen Hand befinden, sind - soweit geeignet - vorrangig für
Kompensationsmaßnahmen heranzuziehen.
- Kompensationsmaßnahmen sind unter
Berücksichtigung der räumlich-funktionalen Beziehungen zu ihrer Umgebung zu
planen; eine isolierte Lage sollte vermieden werden.
- Soweit die Anforderungen an die Kompensation
aller im Einzelnen beeinträchtigten Funktionen dies zulassen, können
Kompensationsmaßnahmen in einem räumlich konzentrierten Maßnahmenkonzept -
unter Beachtung naturschutzfachlicher Ziele - zusammenfassend geplant werden.
Der Umfang eines solchen Maßnahmenkonzeptes leitet sich dabei ausschließlich aus
dem Eingriff ab.
5
In-Kraft-Treten, Geltungsdauer, Übergangsregelung
Die Geltungsdauer dieses Erlasses wird bis zum
28.2.2009 verlängert. Der Erlass tritt mit Ablauf dieses Datums außer Kraft.
MBl. NRW. 1999 S. 365, geändert
durch RdErl. v. 25.2.2004 (MBl. NRW. 2004 S. 383).